Samstag, 8. Dezember 2012

OFFENER BRIEF AN DEN CLOPPENBURGER STADTRAT




Sehr geehrte Ratsfrau, sehr geehrter Ratsherr,

die Bürgerinnen und Bürger Cloppenburgs schauen auf Sie. Am 17.12 können Sie im Stadtrat über das geplante „Soeste-Carré“ abstimmen. Wir möchten Sie mit diesem offenen Brief ein letztes Mal an die Ängste und Sorgen vieler Cloppenburger vor dem „Carré Cloppenburg“ erinnern. Wir appellieren an Ihr politisches Gewissen, dieses Projekt, verbunden mit all seinen Risiken und Gefahren, endgültig zu stoppen. Enthalten Sie sich nicht der Stimme, sondern lösen Sie sich von falschen Verpflichtungen und vertreten Sie den Willen der Bürger: Stoppen Sie das Soeste-Carré!

Eine Vielzahl von gewichtigen Argumenten spricht unserer Meinung nach gegen das ungeliebte Carré-Projekt: Hochwasserschutz, Zersplitterung der Innenstadt, Verkehrskollaps, Rettung des Grünen Gürtels, rechtliche Bedenken und ein eindeutiger Bürgerwille sind die wichtigsten Gründe unseres Widerstands.

Die obere Lange Straße erlebt seit der Ansiedlung mehrerer überregionaler Firmen wie „H&M“ und „Depot“ ein wirtschaftliches Hoch, wohingegen die Mühlenstraße und Teile der Bahnhofstraße weiterhin in einer wirtschaftlichen Misere verharren. Die gesetzten Hoffnungen in das Carré Cloppenburg, die Innenstadt zu stärken, können wir nur begrenzt nachvollziehen. Womöglich könne die obere Lange Straße an geringen Umsätzen des Carré partizipieren, die eigentlichen Sorgenkinder unserer Innenstadt hingegen werden nicht berücksichtigt. Zunächst ist es zweifelhaft, ob überhaupt messbare Kundenströme den Weg über die Soestestraße in die Fußgängerzone wagen. Nicht ohne Grund schreibt die GMA (Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung) in ihrem Einzelhandelskonzept für die Stadt Cloppenburg von einer „Sperrwirkung durch die Soestestraße“. Aus diesem und weiteren Gründen rät die GMA von einem großflächigen Einzelhandel in der Soeste-Niederung ab. Die Geschäftsleitung eines nächstgelegenen Supermarkts („Markant“) hat angekündigt, dass bei einer dortigen Ansiedlung der Weiterbetrieb Ihres Geschäfts aller Voraussicht nach eingestellt wird. Darüber hinaus bleibt fraglich, wer nach Einkauf von (gekühlten) Lebensmitteln noch Lust und Zeit besitzt zum Shoppen weiterer Produkte im Innenstadtbereich. Letztendlich wird sich mit großer Wahrscheinlichkeit kein Carré-Kunde in das untere innerstädtische Versorgungszentrum, sprich Mühlen- und Bahnhofstraße, „verirren“. Eine weitere großflächige Bebauung im „oberen“ Bereich entzweit noch weiter die ohnehin gespaltene Innenstadt. Diese Zersplitterung muss mit einer verstärkten Konzentration auf den unteren, wirtschaftlich schwächeren Abschnitt verhindert werden. Ein großflächiger Einzelhandel, dessen Kundenströme zuerst die Bahnhofstraße/Mühlenstraße erreichen, wäre hingegen eine echte Stärkung. So könnte ein jahrzehntelanges Ungleichgewicht unserer Innenstadt nachhaltig behoben werden.

Die Soestestraße im Bereich der Lange Straße und der Bürgermeister-Heukamp-Straße ist schon heute zu Stoßzeiten enorm ausgelastet. Laut Berechnungen der GMA sind jeden Tag bis zu 10.000 Kfz auf den innerstädtischen Hauptstraßen unterwegs. Als Autofahrer wissen Sie wahrscheinlich selber, dass die „Verkehrsschmerzgrenze“ erreicht ist und vielmehr eine Beruhigung vonnöten wäre. Nach Berechnungen des Investorgutachtens könnten durch die „Molberger-Auffahrt“ knapp 1/5 der Verkehre herausgenommen werden. Im Gegenzug werden jedoch aufgrund des „Soeste-Carré“ ca. 2.500 neue Verkehre in die Innenstadt geführt. Die Quantität würde sich nach Berechnungen zwar nur geringfügig steigern, die Qualität des Verkehrs hingegen ändert sich erheblich. Durch die dann neu geschaffene „Plus“-Kreuzung und die kurzfristigen An- und Abfahrten am Supermarktgelände würden erhebliche Verkehrsbelastungen verursacht, die zu Stoßzeiten einem Verkehrskollaps gleichkämen. Die Verkehrssituation würde sich drastisch verschlechtern!

Nach Vorgaben des städtebaulichen Rahmenplans „Innenstadt“ sollten „Grünflächen“, insbesondere „entlang der Soeste“, erhaltet oder gar ausgeweitet werden. Zitat Seite 26: “Die gewässerbegleitenden Wege mit Brücken, Stegen und Stufen, die bis zum Wasser führen, machen den Fluss erlebbar und binden den Grünzug in das innerstädtische Wegenetz ein. Die vorhandenen alten Bäume sollen, soweit möglich, erhalten werden. Besonders problematisch sind hierbei die stark konkurrierenden Nutzungsansprüche an die zur Verfügung stehende Fläche (Natur/Grün/Wasser vs. Bebauung); […]Aus städtebaulicher Sicht sollte aber in jedem Fall eine – zumindest teilweise – Aufweitung der bestehenden Grün- und Freiflächen entlang der „Soeste“ das Ziel sein.“ Die Soeste-Niederung ist keineswegs eine „Müllhalde“, sondern ein seit Langem unberührtes Naturreservoir, das aufgrund seiner Beschaffenheit zwar nicht naturrechtlich gesichert ist, dennoch wegen seiner atmosphärischen Vorteile für Spaziergänger und Fahrradfahrer schützenwert bleibt. Wahrscheinlich sind Sie schon selbst einmal entlang der Soeste zum Ambührener See geschlendert und können diesen „grünen Gedanken“ daher gut nachvollziehen. Auswärtige Investoren können das vielleicht nicht, gebürtige Cloppenburger hingegen schon. An Wandertagen sind dort ebenfalls etliche Schulklassen anzufinden. Nach Bau des Carré wäre dies in Zukunft nur noch bedingt möglich. Entlang von Einkaufswagen und Seitenwänden eines Einkaufszentrums lässt es sich nur spärlich entspannen.

Nach den überarbeiteten Plänen des Investors werden weiterhin Flächen des ausgewiesenen Überschwemmungsgebiets beansprucht. Hochwasserschutz gilt in der Politik nicht als populär. Die Ergebnisse einer guten Hochwasserschutz-Politik sind kompliziert messbar und nur schwer den Wählerinnen und Wählern zu erklären. Die Folgen einer verfehlten Politik hingegen sind bei Eintritt eines Unglücks unmittelbar spürbar und nur unter großem finanziellem Aufwand zu beheben. Die Pläne des Investors zur Hochwasserbekämpfung wurden erst nach intensiven Protesten der Bürger und Beschwerden der unteren Wasserbehörde des Landkreises, welche immer noch erhebliche Bedenken äußert, verbessert und können in der Theorie den Anforderungen wahrscheinlich standhalten. Die gegenwärtige Praxis hingegen kann den Bürgerinnen und Bürger Schutz vor möglichem Hochwasser sicher bieten. Warum die sichere Praxis gegen eine rechnerisch ermittelte Theorie ersetzen? Hochwasserschutz sollte Vorrang vor grenzenlosem Wachstum haben.

Für die Bebauung in einem Überschwemmungsgebiet bedarf es bekanntermaßen einer Ausnahmegenehmigung. Die zuständige ‚Untere Wasserbehörde‘ hatte sich bis zuletzt gesträubt und sich erst nach politischem Druck den Carré-Befürwortern gebeugt, den Plänen zuzustimmen. Eine Ausnahmegenehmigung setzt die Alternativlosigkeit des Standortes voraus. Im Bereich der Mühlenstraße, der Deutschen Post, des Pieper-Geländes oder der hinteren Kaufhalle bieten sich Einzelhandelsflächen an, die entweder kleiner/größer oder aufgrund der Eigentümerverhältnisse etwas teurer als die Fläche an der Soestestraße sind. Dennoch sind es alternative Bereiche, die dem Gedanken der Alternativlosigkeit widersprechen. Schon jetzt ist bekannt, dass mehrere Anwohner bei Erteilung einer Baugenehmigung juristischen Widerspruch einlegen werden. Eine Anfechtungsklage hätte nach Einschätzung des Oberstaatsanwalts Südbeck Aussicht auf Erfolg. Darüber hinaus könnte eine einstweilige Anordnung, die die Wirksamkeit eines Verwaltungsaktes auf unbestimmte Zeit aufschiebt, das Bauvorhaben um Jahre verzögern, was faktisch zur Beendigung der Carré-Planungen führen würde. Jahrelange, kostenintensive verwaltungsrechtliche Streitigkeiten könnten der Stadt Cloppenburg bevorstehen und die Entwicklung der Innenstadt zum Stillstand bringen. Dieser juristische Rattenschwanz muss bei Ihrer Entscheidung berücksichtigt werden.

Wir alle wollen, dass Cloppenburg seinen erfolgreichen Weg der letzten Jahre fortführt. Cloppenburg ist als Mittelzentrum für viele Investoren von großer Bedeutung und wird dies auch in Zukunft sein. Nicht ohne Grund sind in bestimmten Bereichen der Lange Straße  schon heute enorme Mietpreiserhöhungen zu verzeichnen (Café Venezia, Café Burwinkel, Ulla Popken etc.). Die Carré-Planungen sind keineswegs die "letzte Chance für Cloppenburgs Stadtentwicklung". Im Gegenteil, sie sind lediglich der Anfang vieler Anfragen finanzpotenter Investoren und Firmen. Die Pläne zur "Soeste-Galerie", zum "Altstadt-Center", zum Umbau des Postgebäudes oder die interessanten Planungen zur Weiternutzung des Piepergeländes versprachen und versprechen eine großartige Zukunft.

Viele Befürworter des „Soeste-Carré“ begründen ihre Zustimmung allein aus Sympathie zu MediaMarkt. Vielen Kritiker ist das geplante KAUFLAND ein Dorn im Auge. Politik sollte jedoch weder für noch gegen ein Unternehmen arbeiten! Politik sollte Distanz wahren und lediglich den Rahmen bestimmen. Das passende Bild dazu malt die Wirtschaft.

Die Rahmenbedingungen sind wie beschrieben unzureichend, unbeliebt und gefährlich. Sie, als gewählter Vertreter der Bürgerinnen und Bürger, stehen unter enormen Druck.  Sie werden umgarnt und gehegt seitens eines Investors, der geschickt im Rücken der Öffentlichkeit Verhandlungen und Gespräche mit einzelnen Ratsmitgliedern aller Parteien führt.  Geben Sie unserer Stadt und deren politischen Vertretung das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit, die es verdient hat. Wer in Cloppenburg nur unter Bedingungen und mit Partnern investieren will, die die Bürgerinnen und Bürger Cloppenburgs vehement ablehnen, hat selber schuld, wenn er seine Chance verspielt. Die zahlreichen Investoren-Anfragen bestätigen unseren selbstbewussten Widerstand. Cloppenburg darf sich nicht unter Wert verkaufen.

Gewichtige Argumente gegen das „Soeste-Carré“ sind nicht von der Hand zu weisen. Die Carré-Planungen sprechen im Grunde genommen gegen alle Gutachten, die die Stadt Cloppenburg unabhängig vom Bauvorhaben in der Vergangenheit in Auftrag gegeben hat. Dementsprechend haben sich viele Cloppenburger Organisationen, Vereine und Parteien solidarisch gegen das Carré-Projekt ausgesprochen: Jusos Stadt Cloppenburg, Junge Union Stadtverband Cloppenburg, SPD Ortsverein, Bündnis90/Die Grünen Cloppenburg, weite Teile des CDU Stadtverbands, Niedersächsischer Heimatbund, NABU, BUND und Vertreter der Industrie- und Handelskammer (IHK). Darüber hinaus haben insgesamt mehr als 1800 Bürgerinnen und Bürger in einer Petition Anfang des Jahres Ihre Bedenken kundgetan, davon ca. 1400 Unterschriften in örtlichen Geschäften und weitere 400 Unterzeichnungen im Internet. Das ist für Cloppenburg außergewöhnlich und bislang ein einmaliger Vorgang. Solch einen parteiübergreifenden Widerstand hat es in der jüngeren Vergangenheit noch nicht gegeben. Dieser eindeutig ablehnende Bürgerwille spiegelt sich in unzähligen Leserzuschriften der MT/NWZ wider.

Auch auf den öffentlichen Veranstaltungen in der Stadthalle haben sich zahlreiche Bürger kritisch zur Wort gemeldet und sich vehement gegen das „Soeste-Carré“ ausgesprochen. Das Cloppenburg Carré  würde somit gegen die Stimmen vieler Bürger durchgesetzt. Bedenken dürfen in Cloppenburg zwar geäußert werden, aber damit ist die so geschätzte Bürgerbeteiligung dann auch getan. Als Ratsmitglied sollten Sie jedoch primär auf die Stimme des Bürgers hören und nicht bedingungslos einer Partei- und Fraktionslinie folgen. Wenn man mit der Brechstange das Carré durchsetzt, wird es nicht dazu führen, dass diese Bürger den Slogan "Ich lebe gern in dieser Stadt" offen vor sich hertragen. Und was könnte wichtiger sein, als die Menschen "mitzunehmen", mitgestalten zu lassen. Wir appellieren an Sie, Mut zu beweisen und die Interessen der Bürger zu vertreten. Die Investorgruppe „Genos“ hat in den vergangenen Monaten bekanntermaßen mit vielen Ratsmitgliedern öffentliche und diskrete Gespräche geführt. Möglicherweise sind auch Sie mit den Investor in Kontakt getreten. Vielen Cloppenburgern stößt dieses Geschacher übel auf und bestätigt ihre negative Meinung über politische Entscheidungsabläufe. Widerlegen Sie diese Befürchtungen vieler Bürger. Vertreten Sie als Stadtrat den Willen der Bürger: Stoppen Sie das Soeste-Carré!
Wir appellieren an Ihr politisches Gewissen!

Mit freundlichen Grüßen

Jusos Stadt Cloppenburg

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